An der Quelle des Karate
Kyusho Jitsu bedeutet soviel wie „kleine, schwache anatomische Stelle“. Manchmal wird es auch als „Sekundenkampf“ übersetzt, da die Kyushotechnik einen Kampf in der ersten Sekunde beenden kann. Der Kampf wird beendet bevor er überhaupt begonnen hat.
Kyusho Jitsu, Tuite Jitsu und Kiai Jitsu sind die Künste hinter dem Ryukyu Kempo (die Kampfkunst der Ryukyu Inseln, aus der später das Karate entstand). Es basiert auf der daoistischen Lehre/Philosophie der unterschiedlichen Energien von Yin und Yang. Energien, welche konträr zueinander stehen, aber lebensnotwendig aufeinander angewiesen sind. Das Studium des Kyusho Jitsu beginnt mit den Beschäftigung der Körpermechanik und der korrekten Körperhaltung. Später sollte die genaue Lage der Nervendruckpunkte und das Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in Betracht gezogen werden. Wichtig dabei ist die richtige Richtung, der Angriffswinkel und auf welche Art und Weise die Nervendruckpunkte aktiviert werden müssen.
In Asien bezeichnet man die Kunst des Kyusho, je nach Land, unterschiedlich. In Indien wird von der Kunst des Marma Adi, in China von Dian Xue oder Dim Mak und in Korea von Kupso Sul oder Hyol Do Bop gesprochen. Leider ist mit der Versportlichung der Kampfkünste dieses Wissen größtenteils verlorengegangen. Einzelne Druckpunkte sind meist noch bekannt, die Anwendung in ihrer Gesamtheit wird jedoch nicht mehr unterrichtet. Ein wichtiges Element des Kyusho Jitsu ist das Studium der Reaktion des Körpers auf die Nervendruckpunkte. Das Sammeln des Wissens über die menschliche Anatomie ist ein wichtiger Teil des Kyusho Jitsu/Tuite Jitsu und ein Studium für sich. Dieses Wissen wurde in den Bewegungen der Kata (Form) notiert und so über Generationen erhalten. Schritt für Schritt kommt man so den „alten“ Anwendungen (Prinzipien u. Strategien), welche von den Meistern auf Okinawa in den Katas verschlüsselt wurden, näher. Das Kyusho Jitsu kennt keine Blocks im herkömmlichen Sinne. Alle Techniken, die in den verschiedenen Kampfkünsten genutzt werden, werden als Angriffe zu Nervendruckpunkte gesehen. Betrachtet man beispielsweise das Kyusho Jitsu in der Anwendung der Kata, so ist zu erkennen, dass in der Kata (Form) die Lokalisierung der Punkte und die Wechselbeziehung untereinander untersucht werden. Das Kyusho Jitsu ist in jeder Kampfkunst enthalten. Es ist kein Wissen, das nur für einen bestimmten Stil gedacht ist. Das Kyusho Jitsu passt sich jedem Stil an und ist dazu gedacht, jede Kampfkunst effektiver zu machen.
So wie Akupunktur und Akupressur (Shiatsu) mit der Stimulation bestimmter Körperstellen/ Nervendruckpunkte eine heilende Wirkung verfolgen, werden im Kyusho Jitsu die energetischen und neurologischen Vorgänge des menschlichen Körpers so beeinflusst, dass eine Beeinträchtigung der Körperfunktionen die Folge ist. Diese Beeinträchtigung kann sich in Form von Schmerz, Gleichgewichtsstörungen, Kraftverlust bis hin zum Verlust des Bewusstseins äußern. Zum Studium des Kyusho Jitsu gehört ebenso Wissen von der Linderung bestehender Beschwerden oder Blockaden bis hin zur Reanimation. (Kuatsu)
Einzige Voraussetzungen hierfür sind ein offener Geist, der Wille und die Disziplin zu lernen und zu üben, ein gefestigter Charakter und die Reife und Integrität zum verantwortungsvollen Umgang mit dieser Kunst.